"Raus aus Klischee-Schubladen" - Anastasiya und Anne über Vielfalt in Gesellschaft und Arbeitswelt
Aktualisiert: 10. Mai 2021
Warum sind Vielfalt und Gendergerechtigkeit wichtige Themen für unsere Gesellschaft – und wie übertragen wir diese in unsere Arbeitswelt? Wo gibt es gute Ansätze einerseits und bestehende Hürden andererseits? Mit unseren Fragen zu diesen Themen haben wir uns an zwei inspirierenden Frauen gewandt:
Anastasiya Matchanka ist Programm- und Projektmanagerin bei Employers for Equality – ein Bildungsprogramm für Gendergerechtigkeit und Vielfalt in Unternehmen. Außerdem ist sie Projekt- und Eventmanagerin bei PANDA The Women Leadership Network.
Anne Keck ist in einem großen Tech-Unternehmen für das Thema Diversity verantwortlich und Gründerin von Potenzialwerkstatt. Dort bietet Sie unterschiedliche Workshops zum Thema Diversity und Gendergerechtigkeit für Unternehmen, Schulen und Kitas, aber auch Eltern an.
Lest hier ihre Gedanken zu dem Thema;
Vielfalt und der Umgang damit sind zentrale Themen für uns bei GemeinsamEinzigartig.
Was bedeutet Vielfalt für dich?
Anastasiya: Vielfalt bedeutet für mich Akzeptanz von Verschiedenheiten und Gleichbehandlung der Menschen trotz dieser erkennbaren oder nicht erkennbaren Unterschiede. Bei Diversity geht es aber nicht nur um die Anderen, sondern viel mehr über sich selbst. Es braucht vor allem Offenheit für andere Perspektiven und Lebenserfahrungen, aber auch die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit eigenen Vorurteilen, die wir alle haben. Vielfalt zu leben bedeutet, als Person immer wieder zu wachsen, was Neues zu lernen und nicht zu verurteilen. Vielfalt normalisiert „Anderssein“ und ermöglicht den Menschen, sie selbst zu sein und keine Angst zu haben, nicht akzeptiert zu werden.
Anne: Vielfalt steckt für mich schon in jeder einzigartigen Persönlichkeit eines Menschen mit all ihren Facetten, Teilidentitäten, Prägungen. Je liberaler, offener, toleranter das Umfeld, desto mehr darf sich jede*r frei entfalten. Richtig spannend wird die Kombination verschiedener Menschen, wenn sie in Teams und Organisationen zusammenarbeiten können und so wiederum Dinge schaffen können, die alleine oder in homogenen Gruppen gar nicht möglich wäre. Ein schönes Beispiel ist etwa die aktuelle Marsmission "Preserverance" der NASA, die von einem sehr diversen Team erfolgreich gestartet wurde.
Wie setzt du dich für Vielfalt ein?
Anastasiya: Ich bin sehr froh, Teil des PANDA-Teams zu sein, das sich sehr für Vielfalt einsetzt. PANDA ist ein Netzwerk für Frauen, eine Plattform für Austausch, gegenseitige Unterstützung und berufliche wie persönliche Weiterentwicklung. Letztes Jahr haben wir auch Employers for Equality gegründet, ein Weiterbildungsprogramm für Diversity und Gender Equality in Unternehmen. Mit diesem Programm bieten wir verschiedene Inhalte, die möglichst alle Diversity-Dimensionen umfassen sollen.
Ich finde es wichtig, Menschen mit verschiedenen Geschichten und Lebenswegen zu zeigen und ihre Erfahrungen relevant zu machen - und genau das tun wir mit diesem Programm. Es gibt wenige sichtbare Diversity-Merkmale, wie zum Beispiel Behinderung oder soziale Herkunft. Wenn ich selbst diese Erfahrungen nicht gemacht habe, ist es für mich schwer, diese Perspektive nachzuvollziehen. Wir versuchen Menschen zu finden, die ihre eigene Geschichte erzählen können und die Unternehmen dazu sensibilisieren, eine inklusive Kultur zu erschaffen.
Anne: Ich möchte mit Vorträgen und Workshops v.a. für das Thema Rollenklischees rund um das Geschlecht schon an Schulen und Kitas sensibilisieren. Mit meiner Elternwerkstatt (siehe https://www.anne-keck.de/angebote/elternwerkstatt/) spreche ich Paare an, die sich dem Familiy-Load gleichberechtigt aufteilen möchten. Nicht zuletzt leite ich das Diversity-Thema in einem großen Tech-Unternehmen, in dem wir z. B. gerne mehr Frauen in den Tech-Bereichen und in Führungspositionen sehen würden.
Wie kann ein besseres Verständnis von unserer diversen Gesellschaft und Sensibilisierung in dem Thema Schüler*innen auf die Arbeitswelt vorbereiten?
Anastasiya: Im Job ist es oft so, dass unsere persönliche Geschichte eine große Rolle dabei spielt, wie wir arbeiten und was für uns wichtig ist. Manche brauchen zum Beispiel mehr Struktur und eine klare Beschreibung, was gemacht werden muss. Andere fühlen sich eingeschränkt, wenn ihnen von Anfang an vorgegeben ist, wie sie eine Aufgabe erledigen sollen. Das eine oder andere ist nicht richtig oder falsch, sondern eben unterschiedlich. Es wird sicherlich Konflikte und Reibungen am Arbeitsplatz geben, aber wenn man eine Haltung hat, die grundsätzlich Unterschiede erkennt und akzeptiert, hilft es auch dabei, sich besser in der Arbeitswelt zu integrieren.
Anne: Ich finde es wichtig, dass jede*r aus dem breiten Angebot von Möglichkeiten wählt und sich rechtzeitig über das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf Gedanken macht. Die Realität zeigt, dass Jungen und Mädchen heute immer noch eher die typischen Männer oder Frauenberufe wählen, ohne das weiter zu hinterfragen, warum z. B. ein technisches Studium nicht in Frage kommt ("Bin ich wirklich gut genug in Mathe"?) und Paare sobald sie Kinder bekommen in traditionelle Rollenmuster zurückfallen. Am besten denke ich sind wir vorbereitet, wenn wir genau das machen, was zu unseren individuellen Stärken passt - abseits von Schubladendenken.
Wie bedeutsam siehst du den Austausch mit vielfältigen Botschafter*innen?
Anastasiya: Ich freue mich immer auf den Austausch mit Menschen - es erweitert meinen eigenen Horizont. Jede Person trägt ihre eigene Geschichte mit sich und ich empfinde es als ein großes Glück, in diese Welt eintauchen zu dürfen. Hier ist ein Beispiel – ich komme nicht aus Deutschland, Deutsch ist auch nicht meine Muttersprache. Und als ich vor sechs Jahren hierher gezogen bin, musste ich sehr viele Hürden überwinden, damit ich mich hier wohlfühlen kann. Ich war mit vielen Fragen konfrontiert. Wie finde ich eine Wohnung? Wie finde ich Freunde? Wie gestalte ich mein Leben in einem Land, das ich nicht kenne? Aber eine Person, für die Deutschland die Heimat ist, würde diese Erfahrungen nie machen können. Genauso können mir Andere ihre Geschichte erzählen über Erfahrungen, die ich nie machen kann. Es ist für mich immer sehr bereichernd, neue Leute kennenzulernen und was Neues durch diese Begegnungen zu erfahren.
Anne: Das eigene Blickfeld erweitern, Einsichten in Perspektiven unterschiedlicher Menschen zu bekommen, aus der eigenen Bubble rauskommen, Raum uns selbst zu reflektieren - das hilft uns immer, um eingefahrene Denkmuster auf die Probe zu stellen, Neues zu lernen, unser routiniertes Handeln anzupassen.
Was brauchen wir, um Gendergerechtigkeit und Diversität in der Arbeitswelt zu erreichen?
Anastasiya: Wir brauchen Zeit, Wille und sollten uns beim Experimentieren genauso über unsere Erfolge freuen wie auch über die Fehler, denn nur so können wir auch lernen.
Die Arbeitswelt besteht aus vielen verschiedenen Firmen, Organisationen und Institutionen. Damit man sich intern in dem Unternehmen mit der Frage auseinandersetzen kann, braucht es auch Grundvertrauen, eine inklusive positive Unternehmenskultur, psychologische Sicherheit für Mitarbeiter*innen und die Unterstützung aus dem Management. Es ist eine konstante Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen, die nie abgeschlossen ist. Das ist ein Prozess, und nicht nur das Ziel.
Anne: Das Thema ist komplex, da das binäre Denken mit den entsprechenden Stereotypen von Mann und Frau tief in unserer Gesellschaft verwurzelt ist. Es prägt unsere Sprache, die Medien, die Erziehung von Kindern, die Art und Weise, wir wir uns als Eltern aufteilen, welchen Beruf wir wählen oder welche Karriereschritte. Per Gesetz sind Frauen und Männer gleichgestellt - doch in der Realität haben wir eben immer noch eine Gender Pay Gap, eine Gender Care Gap usw. Doch glücklicherweise ist da einiges in Bewegung und das stimmt mich zuversichtlich. Wichtig ist es, an dem Thema dran zu bleiben, in dem darüber gesprochen, diskutiert, geschrieben und sich mit konkreten Aktionen dafür eingesetzt wird - nicht nur von Frauen, sondern von allen Menschen!
Was würdest du Kindern und Jugendlichen gerne mit auf den Weg geben?
Anastasiya: Es gibt mehrere Wege ans Ziel zu kommen und Du solltest es so machen, wie es für dich passend ist. Du solltest nie glauben, dass Du etwas nicht kannst, weil Du die Erfahrungen gemacht hast, die wahrscheinlich ein bisschen anders sind als die von deinen Freunden. Viel mehr liegt in unseren Händen, als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Anne: Raus aus den Klischee-Schubladen, neugierig ausprobieren, was zu dir passt, dir inspirierende Vorbilder suchen und so deinen ganz persönlichen Weg finden. Ansonsten: Mutig ansprechen oder handeln, wo Ausgrenzung oder Abwertung z.B. aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung, Religionsangehörigkeit, Hautfarbe oder einer Behinderung stattfindet.
Liebe Anastasiya, liebe Anne, vielen Dank für den spannenden Einblick in diesen Themenbereich!
Hier kann man die Arbeit der beiden verfolgen:
Anastasiya:
https://employers-for-equality.de/
https://www.linkedin.com/in/amatcha/?originalSubdomain=de
Anne:
https://www.linkedin.com/in/anne-keck/?originalSubdomain=de