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Vorgestellt: Alice Hasters "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber hören sollten"

Aktualisiert: 10. Mai 2021


“Fangen wir bei den Basics an. Du bist weiß. Was bedeutet das? Egal, ob du melancholisch, optimistisch, nachdenklich oder spontan bist, als weißer Mensch hast du eine gewisse Leichtigkeit. Du machst dir über bestimmte Dinge, um die ich mich sorge, einfach keine Gedanken. Du hast zum Beispiel keine Angst vor Wohnungsbesichtigungen, oder davor, nach Russland zu reisen. Ich staune über das Selbstbewusstsein, mit dem du Bewerbungen schreibst. Oder dass du durch deutsche Kleinstädte laufen kannst, ohne dass deine Schultern dauerhaft hochgezogen sind. Mir ging es noch nie so wie dir.”


Schon im Klappentext von Alice Hasters´ Buch “Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten” traf sie genau mein Problem, das ich mit dem Verstehen und Erklären von Rassismus habe: “Menschen müssen verstehen, was hinter rassistischen Handeln steckt”. Mehr noch, ich behaupte, man muss fühlen können, wie sich die*der andere fühlt. Alice Hasters beschreibt sich selbst in ihrem Buch als “Schwarze Frau, mit einem weißen Elternteil, ich bin heterosexuell, und ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft”. Sie ist deutsche Journalistin, Buchautorin und Podcasterin und sie schreibt klug und mutig, darüber was Rassismus ist und wie er sich anfühlt.


Wenn ich über dieses Buch spreche, kann ich das nicht, ohne die Vorgeschichte zu erzählen. Ja, ich bin weiß, weiblich, cis, hetero, gehöre der gebildeten Mittelschicht an und habe in meinem Leben nur wenige Erfahrungen gemacht, nicht zur “Norm” zu gehören. Meine Kinder auch. Nun saß ich also mit meinem ältesten Kind, fast ein Erwachsener, am Abendbrottisch und wir haben diskutiert über Gott und die Welt und über #blacklivesmatter.

Wie spricht man über Rassismus, wenn man ihn selbst nie erfahren hat? Wie spricht man über die Erfahrung, immer als anders betrachtet zu werden, als erklärungsbedürftig, und warum die Frage “Wo kommst du her?” für nicht-weiße Menschen eben rassistisch ist. Oder warum es eben keinen Rassismus gegen weiße Menschen gibt. Mir gingen in dieser Diskussion irgendwann die Worte aus. Ich kenne Theorien zu Rassismus und Antisemitismus, aber wie vermittle ich meinem Kind, was systematische / strukturelle Benachteiligung ist, und worin seine*ihre Privilegien als Weiße*r liegen? Was das für andere bedeutet?


{Das komplette Check your Priviliges-Poster mit den Fragen findet ihr in der aktuellen Ausgabe des Magazins Neue Narrative. Mehr unter: https://www.neuenarrative.de/}


Alice Hasters´ Schilderungen leben von ihren sehr persönlichen Erfahrungen. Sie erzählt von Alltagsrassismus während ihrer Kindheit, in der Schule und während ihrer Ausbildung zur Journalistin, den ersten Jobs und sie reichert das mit klugen Aussagen von Vordenker*innen an, die sich mit Rassismus und systematischer Benachteiligung von BIPoC auseinandergesetzt haben. Ihr Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung, davon gibt es viele, auf die sie verweist. Zu jedem Kapitel gibt es im Anhang auch eine Liste von lesenswerten Veröffentlichungen im Literaturverzeichnis. Die Spuren des Rassismus, die sie aufzeigt, und die tief in unserem europäischen Selbstverständnis und der Tradition der Aufklärung verwurzelt sind, sind erschreckend. Ich habe nichts über Hegels, Kants und Voltaires Rassismus im Studium oder in der Schule gelernt. (Kapitel 2, Schule und Geschichte) Wie sagt Alice Hasters? “Es gehört nicht zum Allgemeinwissen. Dinge, die wir nicht wissen, können wir nicht kritisch behandeln.” Hier wird klar, dass wir nicht nur über Vorurteile von Mitschüler*innen und Lehrenden sprechen müssen und Stereotype Threat, der Unterstellung, dass bestimmte soziale Gruppen weniger intelligent seien, sondern auch über Lehrplaninhalte und die Kanonisierung und wer über sie bestimmt.


Ich habe ihr Buch verschlungen. Klug und bewegend ist es geschrieben. Ihr Kapitel über die Liebe, der Brief an ihren weißen Freund - das sind Gedanken, die ich nie denken musste. Ihre Erfahrungen mit Rassismus in den USA, die noch einmal anders sind, oder die Beschreibung ihrer Familie und wie ihre beiden Schwestern, jede auf ganz eigene Art und Weise, ihren Ausdruck gefunden hat. Es sind sehr menschliche Erfahrungen, in die ich in meiner Bubble kaum Einblicke habe.

Mir hat ihr Buch sehr geholfen, das in Worte zu fassen, was ich wahrnehme, aber nicht selbst erlebe und mit meinem großen Kind jenseits der Theorien darüber zu sprechen. Alice Hasters schreibt im 1. Kapitel “dass man rassistisches Verhalten nur durch bewusste Konfrontation ändern kann” und dass man bei sich selbst anfangen sollte. Ja, es ist für weiße Menschen wahrscheinlich schwer über Rassismus zu reden, trotzdem ist es dringend notwendig es zu tun. Oder vielleicht sollten wir einmal zuhören und unsere Perspektive und Privilegien wahrnehmen. Alice Hasters´ Buch kann dafür ein Anfang sein.


Das Buch: Alice Hasters: Was weisse Menschen nicht Rassismus hören wollen aber wissen sollten. 2019 - hanserblau in der Carl Hanser Verlag GmbH

Mehr von und über Alice Hasters auf ihrer Webseite https://www.torial.com/en/alice.hasters oder einfach auf Twitter https://twitter.com/alicehasters


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